Dr. Andreas Langsdorf, Head of Hot Forming and Processing at SCHOTT

Sicher und geschmeidig

Was verbindet Glasfläschchen zur Aufbewahrung von Medikamenten mit einem Autoscooter? Diese spannende Frage haben drei Expert*innen von SCHOTT und SCHOTT Pharma bei einem verschneiten Besuch im Freizeitpark diskutiert.

Joana Kornblum, PR & Communications Manager at SCHOTT Michael Thiem

Von Joana Kornblum, Michael Thiem

9 min read

Es schneit. Es ist kalt. Der Wind bläst durch die offenen Seiten des Autoscooters. Fast surreal blinken am frühen Morgen die bunten Lampen unter der Decke, aus den Lautsprechern wummert Freizeitparkmusik in einer Endlosschleife. Trotz klammer Hände bleibt Dr. Andreas Langsdorf auf Kurs. Mit Vollgas steuert er auf das Fahrzeug von Diana Löber zu. Die Gummiumrandungen prallen mit einem dumpfen Geräusch aneinander und lassen die Fahrzeuge wieder auseinanderdriften. Danach dreht er das Lenkrad des dreirädrigen Elektrogefährts im Eiltempo mehrmals in die andere Richtung. Das Gaspedal immer durchgedrückt. Vollgas bedeutet maximal zehn km/h. Plötzlich flitzt Stephanie Mangold von der Seite heran und fährt in beide Fahrzeuge. Alle lachen. Der Selbstversuch zeigt: Wer am Steuer eines Autoscooters sitzt, hat Spaß. Denn ein Aufprall ist Teil des Vergnügens. Im Leben von Pharmafläschchen aus Borosilicatglas wird aus Spaß beim Aufprall aber schnell Ernst: es kann in der Produktion, beim Transport oder bei der Abfüllung zu Stößen und Schäden kommen. Doch nicht nur das Trio aus Physiker, Chemikerin und Produktmanagerin fühlt sich durch die Bumper gut geschützt. Das gilt auch für Millionen von Fläschchen. Wie beim Vorbild Autoscooter: Die Form und die schützende Schicht sorgen für Sicherheit.

Gruppenbild von Dr. Andreas Langsdorf, Diana Löber und Stephanie Mangold.

Ein Dreamteam (vlnr): Dr. Andreas Langsdorf, Diana Löber und Stephanie Mangold.

Dr. Andreas Langsdorf, Diana Löber und Stephanie Mangold haben Spaß beim Autoscooter-Fahren.

Manchmal ist es ein anderer Blickwinkel, der neue Erkenntnisse für aktuelle Herausforderungen bringt.

Geballte Expertise: Expert*innen aus mehreren Fachbereichen haben sich der Aufgabe gestellt, Pharmafläschchen mit innovativen Features zu entwickeln.

Der Ortstermin im Taunus Wunderland ist ungewöhnlich. Der Autoscooter im Freizeitpark vor den Toren Wiesbadens macht eindrucksvoll klar, was sich durch optimierte Glasfläschchen zur Aufbewahrung von lebenswichtigen Medikamenten ändert: Action ohne Folgen. „Auf Füllanlagen kollidieren unsere Fläschchen zum Beispiel mit den Führungsschienen aus Plastik oder Metall. Auch können Fläschchen direkt aufeinander prallen“, schildert die Global Product Managerin Diana das Problem.

Zwischen 400 und 500 Fläschchen flitzen häufig pro Minute über die Linie. Die Geschwindigkeit und die große Menge auf kleinem Raum sind eine große Herausforderung. „Die werden zwangsläufig immer wieder aneinandergedrückt, es gibt Stau. Aus der Geschwindigkeit entwickeln sich dann Kräfte, die die Fläschchen überstehen müssen“, sagt die Chemikerin Stephanie, „denn in der Produktion ist es nicht so leer wie heute beim Autoscooter.“

Diana Löber, Global Product Managerin für Pharmafläschchen bei SCHOTT Pharma hält ein Glasfläschchen in der Hand
Diana Löber, Global Product Manager für Pharmafläschchen bei SCHOTT Pharma
Die Glaszusammensetzung bleibt unverändert.

Andreas fährt das knapp 200 Kilogramm schwere Boxauto an den Rand. Es ist etwa zwei Meter lang und 1,20 Meter breit. Am Fahrzeugheck berührt eine drei Meter hohe Antenne das über die Fahrfläche gespannte Stromnetz, mit dem der 90-Volt-Motor gespeist wird. Seit fast hundert Jahren gibt es in Deutschland Autoscooter. Seitdem haben sich Form, Funktion und Eigenschaften kaum verändert, denn sie haben sich bewährt. Aber als Teamleiter in der Forschung & Entwicklung weiß Andreas: besser geht immer. Daher schnappt er sich den Besen und befreit die Fahrfläche vom angewehten Schnee. So fährt es sich direkt schöner. Optimierung steckt dem Physiker im Blut. Er gilt nicht ohne Grund als einer der Gründerväter der innovativen Fläschchen für die Pharmaindustrie und begann vor mehr als drei Jahren die Optimierung der kleinen Container aus Boroslicatglas mit einem Schuss Neugier und jeder Menge Pioniergeist. „Fläschchen auf der Fülllinie sind vergleichbar mit einer Fahrt in einem völlig überfüllten Autoscooter ohne eigenen Antrieb. Man ist den anderen ausgeliefert. Ausweichen geht nicht“, kommentiert Andreas. Die Folge: Fläschchen können beschädigt werden. Also ist das Ziel der Entwickler, die Pharmaverpackung aus Glas robuster zu machen.

Hierfür nahmen die Expertenteams von SCHOTT und SCHOTT Pharma über mehrere Monate die Produktion unter die Lupe und sammelten mehrere 1.000 Fläschchen verschiedenster Chargen von allen Werken weltweit ein. Mit umfangreichen Festigkeitsanalysen sowie Simulationen wurden die Ursachen für Defekte am Glasbehälter untersucht und signifikante Unterschiede gefunden. „Das war sehr spannend, denn danach war klar, dass es Potenzial für Verbesserungen gibt“, erinnert sich Andreas. Diese Unterschiede nicht nur zu verstehen, sondern zielgerichtet daran zu arbeiten, die besonders belasteten Stellen zu verstärken, war anschließend das Ziel von weiteren Analysen, mathematischen Modellierungen und Optimierungsversuchen im realen Produktionsumfeld. Bekannt war, dass ein Fläschchen an verschiedenen Stellen brechen kann, je nach Belastungssituation. Doch ein Ergebnis war unerwartet: Durch kleinere Veränderungen der Geometrie eines Fläschchens können bereits große Effekte erzielt werden.

Simulation kann entstehende Zugspannungen vorhersagen

In der Fülllinie können Schädigungen dort auftreten, wo sich Fläschchen im Körper-, Schulter- und Fersenbereich gegenseitig berühren oder auf Maschinenteile treffen. Aber der Bruch passiert in der Regel erst dann, wenn zu den Defekten in der tatsächlichen Belastungssituation Zugspannungen auftreten. Mithilfe von Computersimulationen prüfte das Team, wo der Druck am und auf dem Fläschchenkörper am größten war. Hinzu kamen Analysen von sogenannten Smart Skin-Drohnen, also mit Sensoren ausgestattete Fläschchen. Diese wandern als „Datensammler“ durch die Abfüllanlage und zeigen kritische Momente auf, bei denen die Container Defekte bekommen können. Somit erhielten sie am Ende ein Modellbild eines Fläschchens, das einer Druckspannung von oben und der Seite ausgesetzt war. Durch Farbabstufungen wurde die an der Glasoberfläche entstehende Zugspannung visualisiert. „Diese Tests sind weiterhin wichtig, weil sie genau das zeigen, was später beim Kunden passiert“, sagt Diana, „und wir erkennen ganz klar die Stellen mit kritischen Zugspannungen.“

Mehrere Fläschchen sind aneinandergereiht, wobei ein Fläschchen mit einer Animation versehen ist, die die optimierte Glasfestigkeit hervorhebt.

Dank einer verbesserten Geometrie sind die Fläschchen besonders widerstandsfähig gegen Stöße und Drücke während des Abfüllprozesses oder auf dem Transportweg.

Bei der konkreten Umsetzung von Optimierungen wartet aufgrund der komplexen Genehmigungsprozesse und der hohen Qualitätsansprüche der Pharmabranche eine zusätzliche Herausforderung. „Wir haben die Festigkeit gesteigert, ohne bei einem so hochspezifizierten Pharmaprodukt eine der anderen komplexen Spezifikationen negativ zu beeinflussen“, sagt Andreas. „Innerhalb der ISO-Normen zu bleiben und die Glasart nicht zu verändern, war uns extrem wichtig.“ Herausgekommen ist ein Fläschchen, dessen Geometrie im Bodenbereich innerhalb der vorgegebenen Toleranzen geringfügig verändert wurde. Die minimalen Veränderungen erzielen aber eine enorm große Wirkung, denn das Fläschchen widersteht deutlich höheren Belastungen. So widersteht es beispielsweise vier bis fünf Mal so hohen axialen Drücken im Vergleich zu Standardfläschchen. Der Name EVERIC® strong ist also Programm. „Damit stellen wir sicher, dass die Fläschchen unsere Produktion mit einer hervorragenden Festigkeit verlassen“, sagt Andreas. „Aber natürlich erleben sie danach auch noch einiges beim Kunden. Um die Glascontainer auch in den weiteren Schritten zu schützen, haben wir mit einer Außenbeschichtung ein sehr wichtiges Zusatzmerkmal als perfekte Ergänzung entwickelt,“ ergänzt Stephanie.

 

Zusätzliche Schutzschicht mit guter Gleitwirkung

Ohne Musikberieselung wäre bei der Fahrt mit dem Autoscooter nur das Surren der Elektromotoren, ein dumpfes Geräusch sobald die Gummiumrandungen der Fahrzeuge aufeinanderprallen sowie das Lachen der Mitfahrenden zu hören. Diana Löber erinnert sich noch an den Testlauf beim Kunden Hoffmann La Roche. Es ist leise. Viel leiser als üblich. Das sonore Hintergrund-Geklapper der sich berührenden Fläschchen ist deutlich reduziert. So, als hätte jemand die Lautstärke runtergedreht. „Das läuft richtig smooth“, sagt einer der Anlagenführer zur Produktmanagerin von SCHOTT Pharma. Diana: „Ich musste lachen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir den Produktnamen noch nicht kommuniziert. Aber jetzt wussten wir, dass wir einen guten Riecher hatten.“ Während EVERIC® strong die Grundfestigkeit des Glases erhöht, sorgt EVERIC® smooth dafür, dass die Fahrt auf der Linie deutlich geschmeidiger verläuft.

Mehrere Fläschchen sind aneinandergereiht, wobei ein Fläschchen mit einer Animation versehen ist, die die Außenbeschichtung hervorhebt.

Eine transparente Außenbeschichtung sorgt dafür, dass die Fläschchen möglichst unversehrt durch den Produktionsprozess gelangen.

Aufgrund der hohen Geschwindigkeit und der großen Zahl an Fläschchen kommt es auf den Anlagen immer wieder vor, dass einige sich verkanten. Und bei hohem Druck auf engem Raum, teilweise unter zusätzlich hohen Temperaturen, können die Fläschchen sogar aneinanderkleben und hochklettern. Im Extremfall fallen sie dann von der Linie oder bekommen Kratzer und Abschürfungen und müssen verworfen werden. Eine schützende Außenbeschichtung kann dieses Risiko deutlich reduzieren. Auch hier ist bei der Entwicklung die Vorgabe, dass die Beschichtung keinen Einfluss auf definierte Spezifikationen oder das Glas hat. „Man spürt das nur, wenn man ein Fläschchen in die Hand nimmt“, erzählt Stephanie. „Das Aufbringen der Beschichtung hat keinerlei Einfluss auf die Innenwände der Fläschchen, die Kontakt zum Medikament haben.“ Getestet wurden mehr als 75 Coatingvariationen, bis die perfekte Mischung feststand. „Sie hat eine sehr feste Bindung zum Glas und ermöglicht eine sehr schöne Schutzschicht mit guter Gleitwirkung“, sagt die Chemikerin. Das Ergebnis: Die Glasfläschchen mit einer Außenbeschichtung haben einen um 56% reduzierten Reibungskoeffizienten.

Was mit den optimierten Glasfläschchen und innovativem Feature möglich ist, unterstreicht ein Test. Wo bisher durchschnittlich 400 bis 500 Fläschchen pro Minute über die Anlage liefen, sind jetzt 750 Stück und somit die maximale Kapazität der Anlage möglich. „Wenn ich gut geschützte Fläschchen habe, kann ich in der gleichen Zeit mehr prozessieren“, sagt Stephanie, „die Produktion wird deutlich effizienter.“ Auch wenn die Optimierungen der Glasfestigkeit und die Aufbringung einer Außenbeschichtung vom Entwicklungsschritt eher eine Evolution sind, ist das Ergebnis fast schon revolutionär. „Diese Modularität ist wichtig. Jeder Kunde kann sich die Features nach seinen Bedürfnissen aussuchen und findet immer genau die Lösung, die er benötigt“, weiß Diana. „Damit reagieren wir auf die sich verändernden Anforderungen im Pharmaumfeld und bieten eine clevere Lösung, um Medikamente des 21. Jahrhunderts sicher aufzubewahren.“

Die Produktfamilie EVERIC®

Während EVERIC® strong und EVERIC® smooth effizientere Prozesse ermöglichen, sind EVERIC® pure und EVERIC® care Lösungen, wenn es um die Interaktion zwischen Innenoberfläche und Medikament geht. Der Markenname EVERIC® leitet sich von Mount Everest ab. Die Assoziation zum höchsten Berg der Welt soll das Streben nach ganz oben Richtung Gipfel symbolisieren und unterstreichen, dass gerade bei diesem Produkt die eigenen Ansprüche extrem hoch sind und daher Grenzen immer wieder neu verschoben werden.

Die Produktfamilie EVERIC®

Mit diesem modularen Fläschchenkonzept ist SCHOTT bereit für die Zukunft. Auch die drei Experten sind auf den Geschmack gekommen und kündigen eine baldige Rückkehr in den Freizeitpark an – mit Familie, bei besserem Wetter und mit Vorfreude auf neue Erfahrungen. „Wir trauen uns mehr Geschwindigkeit zu. Beim nächsten Mal sollten wir auf jeden Fall mehr Leute mitbringen, damit mehr Action auf der Fahrbahn des Autoscooters ist“, sagt Stephanie. „Denn jetzt geht es erst so richtig los.“ Das trifft auch auf die neue Generation der Pharmafläschchen zu.

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