Feststoffbatterien: Das Elektromobilität-Puzzle
Große Reichweiten, hohe Sicherheit und eine höhere Ladeleistung – das alles zu einem niedrigeren Preis: Feststoffbatterien könnten Elektroautos einen weiteren Schub zur Adoption im Massenmarkt verhelfen. Wir schauen hinter die Kulissen eines Speziallabors und zeigen, wie Materialforschung die nächste Generation von Batterien für Elektroautos antreibt.
Feststoffbatterien haben das Potenzial, Elektrofahrzeuge erheblich zu verbessern.
- Die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen steigt rapide, und Feststoffbatterien gelten als der nächste Schritt in der Batterietechnologie.
- Diese Batterien verwenden einen festen Elektrolyten, der fortschrittliche Elektrodenmaterialien und eine höhere Energiespeicherkapazität ermöglicht.
- SCHOTT arbeitet an Glaskeramikpulvern, die die Leistung und Stabilität von Feststoffbatterien verbessern können, so dass sie für die Massenproduktion und den breiten Einsatz in der Zukunft besser geeignet sind.
Dr. Nina Hoinkis ist auf ihre Arbeit konzentriert. Sie zieht vier Lagen dicker Laborhandschuhe an, bevor sie ihre Arme durch eine Art Schleuse schiebt, die in das Innere eines großen, gläsernen, luftdichten Kastens reicht. In Position hebt sie vorsichtig einen winzigen Löffel mit zartem weißem Pulver aus einem Plastikgefäß.
Im Film würde so vermutlich keine bahnbrechende, möglicherweise weltverändernde Forschung dargestellt werden. Aber es ist genau das, wonach Nina strebt. Solange sie denken kann, hat sich die Projektleiterin für Materialforschung schon zur Chemie hingezogen gefühlt.
"Ich glaube, was mich an der Chemie fasziniert, ist, dass sie fast jedes Phänomen, das uns umgibt, erklären kann", erzählt sie. "Ob im Körper, in der Küche oder der Natur – Chemie liefert uns alle Teile. Man muss nur herausfinden, wie sie zusammenpassen. Wie bei einem Puzzlespiel.“
Was ist das für ein Puzzle, für das man vier Paar Sicherheitshandschuhe und einen Glaskasten braucht, dessen inerte Atmosphäre durch eine Vakuumpumpe aufrechterhaltene wird? Es geht um die nächste Generation von Batterien für die Elektromobilität.
Größere Reichweite, kürzere Ladezeiten: Eine überfällige Verbesserung der Batterietechnologie
Der Verkehr ist einer der weltgrößten Verursacher von Treibhausgas-Emissionen. Vor allem in den Vereinigten Staaten sind Fahrzeuge, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, für den Großteil dieser verkehrsbedingten Emissionen verantwortlich. Aufgrund der nicht vorhandenen lokalen Emissionen und der Möglichkeit, grünen Strom für die Mobilität zu nutzen, sind Elektrofahrzeuge eine nachhaltigere Alternative zu Verbrennungsmotoren. Sie können dabei helfen, den Klimawandel nicht weiter zu verschärfen. Und da auch die Benzinpreise in Hinblick auf die politischen Bestrebungen der Senkung von Treibhausgasemissionen tendenziell eher weiter steigen, ist der Betrieb von E-Autos zudem langfristig tendenziell günstiger für den Geldbeutel.
Das Schicksal des Verbrennungsmotors ist besiegelt. Sollte das in den letzten Jahren noch nicht deutlich geworden sein, wird es das in naher Zukunft. Im Jahr 2011 wurden weltweit rund 55.000 Elektrofahrzeuge verkauft. Heute ist diese Zahl auf über 8 Millionen verkaufte Elektrofahrzeuge allein zwischen Januar und August 2023 angestiegen. Das heißt, dass der Anteil an Elektroautos unter den weltweit verkauften Fahrzeugen innerhalb von gut zehn Jahre auf fast 20 Prozent gestiegen ist.
So beeindruckend dieses Wachstum auch sein mag – 20 Prozent sind noch weit entfernt von 100 Prozent. Und die anhaltende Klimakrise auf unserem Planeten wird nicht auf die fehlenden Prozent warten. Die Schlüsselkomponenten, die Elektrofahrzeugen ihre derzeitige Position verschafft haben, sind zu einem zentralen Hindernis des Marktwachstums geworden – und folglich auch für die Verringerung der Klimaauswirkungen der Mobilität.
Unterm Strich werden die heutigen Elektrofahrzeuge mit der gleichen Lithium-Ionen-Akkutechnologie betrieben, die Sony 1991 für den Betrieb von Digitalkameras erfand. Natürlich ist diese Erfindung der Grund, warum wir überhaupt Elektroautos haben. Aber nach dreißig Jahren schrittweiser Verbesserung der Technologie erreichen diese Batterien gerade dann den Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit, wenn die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen rapide steigt.
Lithium-Ionen-Akkus enthalten flüssige Elektrolyte. Fortschrittliche Elektroden mit höherer Energiespeicherkapazität können jedoch nicht zusammen mit flüssigen Elektrolyten verwendet werden. Die Energiespeicherung in einer Zelle bleibt also begrenzt. Um mehr Energie speichern zu können, braucht man mehr Zellen. Je mehr Zellen wiederum eine Batterie hat, desto größer, schwerer und teurer wird sie. Und das ist ein Problem, wenn Preis, Leistung und Sicherheit zentrale Faktoren für die Wahl des Fahrzeugantriebs sind.
Einfach ausgedrückt: Elektrofahrzeuge haben bereits das maximal mögliche an Energie aus herkömmlichen Lithium-Ionen-Batterien herausgeholt. „Da es keine wirkliche Revolution bei Lithium-Ionen-Batterien mit flüssigen Elektrolyten geben wird, tickt die Uhr für diese Technologie", sagt Dr. Andreas Roters, der bei SCHOTT die innovative Batterieforschung leitet. "Und das führt zu der Frage: Was kommt als nächstes?"
Die Frage kam bereits 2011 auf. "Wir sahen, dass Energiespeicherung ein wichtiges Thema wird, und überlegten, wie unsere Materialforschung dazu beitragen könnte, die Grenzen von Standardbatterien zu überwinden", erklärt Andreas. "Nach vielen Recherchen und Analysen beschlossen wir, uns mit Feststoffbatterien zu beschäftigen – auch, wenn zu diesem Zeitpunkt in Europa und den USA kaum jemand darüber sprach."
Geschichte im Entstehen
Was ist eine Feststoffbatterie? Kurz gesagt: Feststoffbatterien verwenden einen festen anstelle eines flüssigen Elektrolyten, um Lithium zwischen zwei Elektroden hin- und her zu transportieren. Je nach Material kann der Festelektrolyt den Einsatz fortschrittlicher Elektrodenmaterialien ermöglichen und somit einen großen Einfluss auf die Energiespeicherkapazität in einer Batterie haben.
Andreas lacht: „Obwohl Batterien vielleicht nicht das Erste sind, was einem in den Sinn kommt, wenn man an Glas denkt, hat unsere langjährige Materialexpertise einen riesigen Vorteil bei der Entwicklung neuer Festelektrolytmaterialien.“
Welche Funktion hat Glaskeramik in Feststoffbatterien?
„Wir begannen uns zu fragen, welches Material wirklich gebraucht wird und wie wir unser Material an diesen Bedarf anpassen können“, erinnert sich Andreas. "Wir wussten, dass wir Glas und Keramik so kombinieren können, dass wir die benötigten Eigenschaften erhalten. Die Herstellung von glaskeramischen Materialien mittels Schmelztechnik gilt als sehr schwierig. Dank der langjährigen Erfahrung im Bereich Glasschmelze sind wir meiner Meinung nach mehr oder weniger das einzige Unternehmen auf der Welt, das über die nötige Kompetenz und Technologie verfügt", erklärt er. "So haben wir schließlich einen Weg gefunden, die bestehende Schmelztechnologie anzupassen, um dieses bahnbrechende neue Glaskeramikpulver herzustellen."
"Bahnbrechend" ist noch milde ausgedrückt. Dieser ionenleitende Festelektrolyt in Form von weißem Glaskeramikpulver zeichnet sich durch hohe Leitfähigkeit, hohe chemische Beständigkeit, Temperaturstabilität und damit verbesserte Leistung aus. Die Glaskeramik ist nicht nur funktional äußerst effektiv, sondern auch hochgradig skalierbar und damit kostengünstig.
Der Materialvorteil von Glaskeramik
Mit Glaskeramikpulver als Festelektrolyt haben Batterien mehrere Vorteile gegenüber herkömmlichen Batterien, erklärt Nina. "Sie sind nicht entflammbar, sie sind mechanisch und chemisch stabil und erlauben dadurch den Wechsel des Anodenmaterials von Graphit zu Lithiummetall, das eine zehnmal höhere Speicherkapazität hat."
Diese höhere Speicherkapazität bedeutet, dass Feststoffbatterien im Vergleich zu flüssigen Lithium-Ionen-Batterien mehr Energie in einem kleineren Gehäuse speichern können. Gleichzeitig gibt es bei Feststoffbatterien nicht den gleichen "Engpass" beim Aufladen, der die Ladegeschwindigkeit der Batterien begrenzt. Denn die Geschwindigkeit, mit der sich die Ionen zwischen Kathode und Anode bewegen, ohne die Batterie zu beschädigen, ist bei Flüssig-Ionen-Batterien mit herkömmlichem Anodenmaterial in der Regel viel geringer.
In Bezug auf Elektrofahrzeuge "könnten diese Verbesserungen dazu führen, dass Elektroautos bis zu 30 Prozent weiter fahren können", sagt Dr. Nicolas Brune, Senior Manager Geschäftsentwicklung New Ventures bei SCHOTT. "Wir sind zwar noch nicht so weit, aber eine Aufladung von bis zu 80 Prozent in zehn Minuten scheint aus heutiger Sicht machbar zu sein.“
Vom Standpunkt der Sicherheit aus gesehen würden Feststoffbatterien auch Probleme lösen, die heutige Elektrofahrzeuge in der öffentlichen Wahrnehmung plagen. Der flüssige Elektrolyt herkömmlicher Lithium-Ionen-Batterien ist brennbar. "Und wenn der flüssige Elektrolyt einmal Feuer fängt", erklärt Andreas, "dann kann die Batterie im schlimmsten Fall explodieren, und das ist wirklich sehr gefährlich."
Immerhin: Statistiken zeigen, dass Brände bei Elektrofahrzeugen trotz der emotionalen Diskussionen in der Öffentlichkeit deutlich seltener sind als bei Fahrzeugen, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Denn auch Treibstoffe sind hochexplosive, brennbare Flüssigkeiten, die im Motorraum eines Verbrenners – wie der Name schon sagt – verbrannt werden.
„Feststoffbatterien können das Risiko von Bränden sogar noch weiter reduzieren, indem man einfach die brennbare Flüssigkeit durch nicht brennbare Feststoffe ersetzt", sagt Andreas. Hier kommen die einzigartigen Eigenschaften des neuen glaskeramischen Pulvers zum Tragen, die besonders gut hohen Temperaturen standhalten können und zudem die Gesamtstabilität der Batterie verbessern.
Feststoffbatterien könnten die Initialzündung für die Einführung von Elektrofahrzeugen auf dem Massenmarkt sein. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. "Sie werden nicht von heute auf morgen die flüssigen Lithium-Ionen-Batterien ersetzen", sagt Andreas. "Aber im Moment arbeiten wir weiter an der Verbesserung unserer Materialien und sehen insgesamt eine steigende Nachfrage."
Laut einer Studie des französischen Marktforschungsunternehmens Yole Développement könnte die Massenproduktion von Fahrzeugen mit Feststoffbatterien im Jahr 2030 beginnen. Und wenn es so weit ist, wird das weiße Glaskeramikpulver dabei sein, davon ist Andreas überzeugt.
In der Zwischenzeit hat SCHOTT mit einem globalen Netzwerk von Partnern mit Kontakten zu führenden Automobilherstellern und Zellproduzenten zusammengearbeitet, unter anderem in zwei geförderte Entwicklungsprojekte. Eines davon ist das von der Europäischen Union geförderte Projekt SAFELiMOVE, das bei Automobil-, Zell- und Materialherstellern bekannt ist und die Erforschung von Hybridzellsystemen für Elektrofahrzeuge zum Ziel hat.
Die Lösung des Puzzles
Die schnell aufladbaren und langlebigen Elektrofahrzeuge von morgen sind das Ergebnis der bahnbrechenden Forschung und Entwicklungen von heute. Bei allem Pragmatismus erfordert Ninas Herangehensweise an die Welt aber auch eine gesunde Portion Optimismus. Optimismus nicht nur in der Überzeugung, dass jedes Problem gelöst werden kann, sondern auch im Streben nach dem großen Ganzen – selbst wenn die Puzzleteile verworren und auf dem Küchentisch verstreut sind.
Nina ist unbeirrt: "Wenn man so lange in einem Labor arbeitet, freuen einen selbst die kleinsten Ergebnisse – das Herz schlägt schneller, man glaubt die tollen Ergebnisse erst nicht, überprüft sie doppelt und dreifach und diskutiert mit den Kollegen", sagt sie. "Dann ist man glücklich."
Bei allen potenziellen Herausforderungen, die vor uns liegen, und allen Fortschritten, die noch gemacht werden müssen, ist Nina überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit ist. "Der Durchbruch der Feststoffbatterien wird kommen", sagt sie. Es braucht nur ein Puzzleteil nach dem anderen.